Jugendschutz
Ich war ja auch mal ein Kind. Auch wenn das vielleicht schwer zu glauben ist. Und ich hatte schon relativ früh Interesse an Dingen, die laut Gesetzgeber nicht unbedingt für Kinder geeignet sind. Damals gab es das Internet noch nicht in der aktuellen Verbreitung. Mit 12 hatte ich lediglich sehr beschränkten Zugang zu Computern, erst ab 15 kam dann dieses Internet hinzu. Zunächst mit 56k Modem, später mit ISDN, manchmal sogar mit Kanalbündelung. Aber prinzipiell war jedes Telefonat, was im Haushalt geführt wurde, eine Gefahr für die Online-Session.
Doch eigentlich fängt ja alles vor dem Computer oder Internet an. Ich hatte schon sehr früh Interesse an Horrorfilmen und Gore. Was irgendwann durch Rotten.com oder Orgish meine Faszination für das Thema befriedigte, hatte seinen Anfang in der analogen Welt. Im Comicbuchhandel konnte man sich bereits als kleiner Junge so manches Heftchen kaufen, was mit Splatter, Gore und gezeichneter Gewalt gefüllt war. Auf den Flohmärkten waren immer irgendwelche Stände, die VHS Kasseten für kleines Geld anboten. Und schnell wuchs also auch meine kleine Filmsammlung an Horror- und Splatterfilmen; ich weiß noch, wie stolz ich war, als ich damals “Tanz der Teufel” bekommen habe. Dieser Streifen war ja in Deutschland verboten, was wiederum einen ganz besonderen Reiz ausmachte. Ich meine, ich hätte damals 10 DM für eine gebrauchte Videotheksversion bezahlt. Generell wurde ich auch in der hiesigen Videothek auch nicht sonderlich kontrolliert, konnte einfach in die Erwachsenenabteilung und mir jedes Wochenende drei Horrorfilme ohne weitere Nachfrage ausleihen. Dass ich dabei durch die ungefähr 5 mal so große Porno-Abteilung musste, ist eigentlich nur eine nette Anmerkung. Im CD-Geschäft meiner Wahl, war der Verkäufer auch ein riesengroßer Horror-Fan. Als dann später Laser Paradise alle möglichen Horror-Klassiker neu auflegte, konnte ich dort unter der Theke, lange vor meiner Volljährigkeit, dann die ersten DVDs erwerben. Und da muss ich gar nicht erst von der Klassenfahrt nach England anfangen. Dort gab es im Virgin Mega Store all die in Deutschland verbotenen Filme für gerade mal drei Pfund. Meine Klassenkameraden und ich kamen mit vollen Rucksäcken zurück von dem Ausflug, ich glaube, insgesamt hatten wir dann drei mal “Braindead” auf VHS gekauft. Und ich hatte endlich “Evil Dead 2”, also den Nachfolger von “Tanz der Teufel”.
Dann kam die Computer-Zeit. Auf meiner ersten LAN-Party war ich doch zunächst verwundert. Ich ging mit der Intention zum Zocken hin, hatte den Rucksack voller Spiele. Doch schnell saß ich alleine mit einem einzelnen anderen Teilnehmer dort, der sich aber schnell auf “Return to Castle Wolfenstein” konzentrierte und den Singleplayer in der Nacht durchspielen wollte. Die anderen Teilnehmer waren eher mit Filesharing beschäftigt. Das größte Highlight: Der Host der Party hatte sagenhafte 4GB an SM Pornos. Da war die Warteschlange sehr schnell voll und die Datenübertragung der damaligen Technik entsprechend: Langsam. Dabei war man noch nicht mal auf LAN-Parties angewiesen. Eigentlich war jede zweite Spam-Mail damals gefühlt eine Sammlung an pornografischem Material. Kostenlos, direkt in die Inbox des Empfängers.
Und das erinnert mich dann wiederum an eine VHS, die ich irgendwann mal auf dem Flohmarkt kaufte. “Nightmare On Elmstreet” hatte in Deutschland eine abstruse Geschichte. Der Film war zunächst verboten. Dann kam er für einen Monat vom Index und wurde dann wieder neu indiziert. Der damals relativ neue Sender RTL hat sich diese kurze Lücke zu Nutzen gemacht und den Film im Free-TV ausgestrahlt. Die VHS, die ich kaufte, war ein Mitschnitt aus der TV Ausstrahlung. Scheinbar mit Timer aufgenommen, denn vor Freddy Krüger gab es erstmal 10 Minuten Hardcore-Pornografie und im Anschluss wieder. Ausgestrahlt im deutschen Free-TV.
Am Ende ist diese Geschichte sicherlich gar nichts besonderes. Jeder in meinem Jahrgang wird wohl die Brutalität von 80er-Jahre Horrorfilmen mitbekommen haben, kennt sicherlich noch das mal mehr, mal weniger freizügige Erotikprogramm der damaligen TV-Sender. Und nicht wenige Jugendliche haben irgendwann Neugierde auf Blut, Gewalt, Sexualität. Diese Neugierde konnte man schon vor dem Internet befriedigen. Ob das nun mit diesem Internet wesentlich niederschwelliger geworden ist, sei einfach mal dahingestellt, gibt es heute ja durchaus auch viele technische Möglichkeiten von DNS-Filtern zu Parental Control Apps oder schlichten Community-Regeln, die automatisiert unerwünschtes Material ausfiltern. Natürlich nur nakte Haut, Gewalt ist ja irgendwie okay.
Im Endeffekt hat sich aber nichts geändert. Jugendliche sind jugendliche. Und diejenigen, die heute keine Jugendlichen mehr sind, haben dennoch ihre Erfahrungen als Jugendliche gemacht. Sind deswegen heute alle frühen Benutzer des Internets, als es noch nicht zensiert oder reglementiert war, geschädigt oder gestört? Nun, das hängt sicherlich am Auge des Betrachters. Doch ich gehe davon aus, dass die meisten nun so in ihren Vierzigern sind, einem Beruf nachgehen, eine Familie haben, in der Mitte der Gesellschaft stehen.
Dennoch werden gerade wieder die Rufe nach Jugendschutz laut. Alterssperren für soziale Medien. Härtere Durchsetzungen von Altersprüfungen bei Porno-Seiten. Teilweise berechtigt, teilweise sinnvoll. Am Ende ist es aber eher Makulatur, denn Jugendliche sind kreativ und haben Zeit. Die kommen schon an ihre Inhalte, wenn sie denn wirklich wollen.